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Das Portrait

Wie so viele Architekten hat auch Feldmann, der vielleicht wirklich Feldmann heißt, eine Vorliebe für weite, spärlich möblierte Räume. Ihre schlichte Färbung, ihre Empfänglichkeit für nuancierte Schatten, die Klarheit, die sie den Stimmen und Geräuschen lassen – dieser verhaltene Widerschein und Nachhall körperlicher Präsenz fasziniert den Architekten, ist das wahre Ziel seiner Entwürfe. Er möchte selbst der Raum sein, den die Wände erzeugen.

Es ist ein hagerer Mann in fortgeschrittenem Alter. Das Haar verliert noch an Farbe. Quer über die Schläfe zieht eine Ader. Die Haut ist trocken, aber nicht schlaff, rosig zuweilen und oft so dünn, dass der Kopf den bloßen Schädel nachzeichnet. Feldmann geht unbeholfen. Er schwankt übermäßig, stützt sich im Vorübergehen auf Lehnen und Kanten und hält sich an Vorsprüngen fest. Wenn er sich aufregt, ein günstiger Anlass findet sich leicht, redet er sogleich los, fuchtelt mit den Händen, fühlt, dass er die Beherrschung verlieren wird, und sucht wie beiläufig den Schutz einer Wand. Er lehnt sich an und schiebt in seinem Rücken die Hände übereinander. Er will die Unruhe in seinen Gliedern überspielen, dem Zwang entraten, sich selbst zu fühlen. Feldmann möchte vornehm wirken, auch wenn niemand ihn sieht oder hört. Er möchte sich eine vertrauenswürdige Erscheinung geben und entspannt in einen Spiegel schauen. Er kennt jedoch sein Alter und weiß, es wird ihm nicht mehr gelingen. Die Welt der Körper, der unerbittlichen Dinge und Personen, hat ihn gelehrt, allem zu misstrauen, was Substanz hat. Selbst die eigene Wirklichkeit ist ihm hinreichend suspekt. Wenn seine Hände sich berühren und sie einander fühlen, ahnt er, dass er in seinem Innersten gewalttätig ist. Sein Gewissen ist ein Effekt physischer Niederlagen. Mehr nicht. Er hat die Wand in seinem Rücken, den Handballen auf der rauen Fläche und empfindet sein Leben als anhaltende Enttäuschung. Oft, wenn er einen Raum betritt, der scheinbar keinen Ausweg lässt, überfällt ihn ein Gefühl von Beklemmung, wie es vehementer Angst vorausgeht. Doch der stille Anblick einer großen, weißen Wand kann ihm Erleichterung verschaffen. Feldmann ist überzeugt, dass es ohne ein Empfinden für den bloßen Raum, ohne Gefühl für die unumschränkte Leere darin, weder Leidenschaft noch Freiheit gibt.

Er könnte, so glaubt und hofft er, auch ohne die Bindung an einen Körper leben. Feldmann sehnt sich nach einem Dasein völlig frei von mechanischer Bewegung. Ein regungsloser, aber noch sinnlicher, zuletzt ekstatischer Zustand lichter Erfüllung, das ist sein Ideal. Ein Leuchten ohne Ursprung, ganz aus sich selbst. Ein Leuchten, das alles erfüllt und doch bloßer Schein ist. Schon eine gewöhnliche Dämmerung, ja selbst ein spätes, schwaches Glimmen des Horizonts verheißt ihm wahrhaftes Leben. Wetterleuchten und Blitze, zumal bei Nacht, sind ihm zuwider. Feldmann verabscheut ihre theatralische Entladung. Überhaupt ist ihm die Mystik natürlicher Kontingenz und Willkür fremd. Aus seiner Sicht entwürdigt nicht erst die Begierde das menschliche Dasein. Schon die Form seiner physischen Existenz erniedrigt den Menschen. Der geschlossene Raum eines Körpers, der bei Nacht niedersinkt und nach Schlaf verlangt, das ist das entscheidende Unglück.

Ein Haus, wie es Feldmann bei jedem Entwurf vorschwebt, ist eine lose Ansammlung von Mauern und Dachflächen, die nur von Stützen und Verstrebungen aus Stahl gehalten wird. Glas, Holz, Aluminium und andere, leichte Materialien schaffen Ausblicke, gestalten Durchgänge. Der Übergang von Raum zu Raum ist fließend. Die Gewalt eines Durchbruchs fehlt. Von keinem Punkt her wird innen oder außen die Ordnung dieser Architektur ersichtlich. Nur der Entwurf gibt die grundlegende Form preis. An Ort und Stelle wird sie als Harmonie zwischen Gebäude und Landschaft erfahren. Auch das Haus, in dem Feldmann wohnt, bezeugt die Phantasien seiner einsamen Körperlichkeit. Es hat, wie er sagt, die Form eines Traumes – eines Geistes, vielleicht, fügt er hinzu, schaut hinaus und versucht zu lächeln.

Auch Horst, dessen Existenz unsicher ist, muss ein künstlerischer Mensch sein. Er entwirft Mode, gern auf Bestellung, erotische Sachen für den Zeitvertreib. Feldmann kennt ihn nur flüchtig. Außer den gemeinsamen Bekannten verbindet sie nicht viel, allenfalls übertriebene Neugier und ein Hang zu schwärmerischen Gefühlen. Wie Feldmann leidet auch Horst unter Schlaflosigkeit, er verabscheut jedoch schlechtes Essen und pflegt seinen Ruf als Feinschmecker.

In besseren Zeiten, mit ausgeprägtem Sinn für halbseidene Künste, wäre aus Horst ein Varietékünstler geworden. Seine körperliche Präzision, ein respektloser Nachahmungstrieb und die Freude an spontaner Obszönität hätten ihm Erfolg gebracht. Er hätte im Vaterland auftreten können, vielleicht mit einem Dressurakt, aber auch als Clown.

Sein wiegender Gang, die überlegene Art sich vorzutasten, der vorsichtige, wie zufällige Zugriff, das Lächeln, während er sich zurücknimmt, die Unsicherheit in seinen Augen, wenn er schon distanziert zurückschaut – dieser noch unwillkürliche, geradezu unbeholfene Charme entspringt einem maßlosen Verlangen nach Nähe und Zuversicht. Er liebt den Klang fremder Sprachen. Es gefällt ihm, wenn er beobachtet wird. Aber Duft und Geruch sind die wahren Felder seines Instinktes. Sie halten ihn in Atem und regeln den Lauf seiner Zuneigung. Sie reizen seine Lust, lassen ihn haltlos werden, machen ihn rasend vor Ekstase oder Panik.

Erschöpft legt er seine Stirn gegen die Scheibe eines Fensters. Er genießt den überhöhten Pulsschlag, zieht die Lippen ein, schiebt die Zunge vor und spürt das Salz in seinem Schweiß auf. Er tritt zurück, schaut hinaus in die diesige Landschaft. Es liegt Schnee, und es wird weiter schneien. Er bemerkt auf der Scheibe den Abdruck seiner Stirn und lacht. Der Hund seiner Eltern ist ein Boxer; ein dummer Rüde, der vor Angst oder Freude aufs Parkett pinkelt.

Rein vom Gefühl her, sagt Horst, trägt er auch die weiblichsten seiner Kreationen selbst. Was die Anatomie allen versagt, erlauben ihm Phantasie und Emotion. Im Blick seiner Lust sind Geschlechter ohnehin nur Verhaltensformen. Horst ist ein erotischer Artist. Seine Schöpfungen machen sprachlos. Sie maskieren die Persönlichkeit. Sie wollen ein Geschlecht erzwingen und entblößen die Begierde. Solange sie faszinieren, ist der Lebenskampf anonymer Genuss. Theatralische Mäntel, nass glänzende Capes und Hosen, steife Röcke, hauchdünne Hemden und Blousons, dazu Stiefel und all die anderen Insignien phantastischer Macht. Horst entwirft erotische Rituale. Er feiert einen lasziven Anstand, in dem eine Sehnsucht nach Wildnis und Beschwörung nachklingt. Seine agressiven Mieder und Korsagen sind weithin begehrt. Er spielt mit Kaskaden feiner Kettchen, raffiniert platzierten Schnallen, Ösen und Haken weitläufiger Verschnürungen. Er ist ein Meister der provokant funktionellen Verschlüsse, der regulierbaren Schlitze, des kalkulierten Einschnitts und der bloßen Öffnung. Seine überzeugendsten Kompositionen sind nüchterne Geometrien aus Lederstreifen und Stahlringen. Ihre Strenge nimmt den Leib gefangen und stellt ihn wie gefesselt zur Schau.

Seine unermüdlich schöpferische Begeisterung für das Spiel der Begierden schützt Horst vor der Routine des Geschäftes und dem Zwang zu wiederholtem Erfolg. Seine Eitelkeit ist so virtuos, dass sie befreiend sinnlos und überflüssig wie ein Zeichen des Glücks wirkt. Diskretion gegenüber Kunden ist für Horst Abglanz und Verheißung erotischer Intimität. Die Übergabe einer fertigen Bestellung wird gelegentlich mit einer exklusiven, inspirierten Séance gefeiert. Ohne Lust kein Geschäft mit der Lust, sagt Horst, denn ohne Lust richten sich die Geschäfte gegen die Lust – und gegen die Kunst.

Die Kunst, für die Horst lebt, ist weder ernst noch geheimnisvoll. Für sich genommen sind ihre Werke wertlos. Es sind Dekorationen. Sie bedecken, um zu entblößen. Sie fesseln, um zu befreien, bezwingen, um zu erlösen. Ihre Wahrheit ist hinreißend scheinheilig. Berauschender als diese willfährigen Kostüme ist nur das wilde Tanzen, zu dem sie provozieren. Ein unpersönlicher Rhythmus erzwingt eine erste, wechselseitige Annäherung. Die Körper geraten in Bewegung, strengen sich an, erwärmen sich, geben ihren Geruch preis und zeigen ihre Stimmung. Unbeholfen oder zurückhaltend, abweisend oder offen, angespannt oder anschmiegsam – die Berührung verrät das Gefühl.

Einer unbekannten Atmosphäre nachspüren, einen fremden Atem atmen, eine Feuchtigkeit schmecken, die ein anderes Leben bezeugt – ein unstillbares Verlangen nach roher Wirklichkeit treibt Horst von Nacht zu Nacht und Ort zu Ort. Es nährt sich von einer Art Verzweiflung über alles und nichts, so ernüchternd wie der Mut, der den Artisten aufs Trapez hebt, den Dompteur in den Käfig führt. Seligkeit und Liebe haben keine Zeichen. Horst weiß es. Wie alle Wunder sind auch sie den Ungläubigen verschlossen.

In Fachkreisen ist der Maler Amikam Toren für eigenwillige Verfahren der Abbildung bekannt geworden. Eine Zeit lang hat er behutsam Fäden aus der Leinwand gezogen. Die Bilder sollten sich selbst darstellen. Später hat er alltägliche Gegenstände wie Geschirr oder Möbel zerstört, um aus den Überresten ihr Bild zu machen. Einen Stuhl, den er zu einem Gerippe abschliff, malte er mit einer Paste aus Akryl und dem aufgefangenen Holzstaub. Er verbrannte das Bild, um es mit seiner Asche zu malen.

Amikam Toren ist ein friedlicher Mensch. Er verabscheut überflüssige Bewegungen. Sein Gang hat Würde. Sein Blick ist ohne Scheu, aber nicht forsch, bestimmt, doch nicht eindringlich. Er hat Geduld mit dem, was er sieht und berührt. Wenn er glücklich ist, stellt er sich als ein Schlitzohr hin. Aber niemand glaubt ihm. Denn er verkauft wenig. Kunst ist, wie er sagt, kein Luxus. Kunst soll zustandebringen, was notwendig ist. Und nur das. Ein Bild, wie es ein Künstler malt, soll nicht zweckmäßig oder wertvoll sein. Auch Schönheit ist gleichgültig. Das Bild soll wie sein Objekt unersetzlich sein. Nur dann ist es Kunst. Und deshalb, so erklärt er, habe ich zunächst den Weg der Zerstörung gewählt. Denn erst wenn es überhaupt unmöglich ist, das Bild mit seinem Gegenstand zu konfrontieren, ist seine Darstellung nicht mehr überflüssig. Seit kurzem ist Toren jedoch überzeugt, dass die Idee dieser vernichtenden Art zu malen gescheitert ist. Wahrhaftig könnte nur ein Gott solche Bilder machen. Gewalt ist ihm zwar nicht fremd. Aber er träumt noch von einer Malerei der liebevollen Geste, der Behutsamkeit und zärtlichen Ahnung.

Auch sein jüngster Versuch, ein künstlerisches Bild zu malen, hat wesentliche Schwächen und ist vermutlich schon jetzt gescheitert. Er versucht nun so zu malen, dass der dargestellte Mensch im Bild zwar nicht sichtbar, für den Betrachter jedoch wie zum Greifen nahe anwesend ist. Während ich ein solches Bild betrachte, so prophezeit er, werde ich den dargestellten Menschen nicht erkennen, sondern nur empfinden können – so, wie man, wenn es still und dunkel ist, die Gegenwart eines anderen ganz deutlich spürt und, obwohl man ihn kennt, ohne Regung verharrt. Vielleicht fühle ich ihn in meinem Rücken, dicht hinter mir. Ich spüre, wie mich sein Atem streift, merke, wie er mir ausweicht, wenn ich zurücktrete, wie er mir folgt, wenn ich sein Bild genauer betrachten will.

Wenn ich mich umwende, werde ich ihn vielleicht sehen. Aber wenn er schon dort war, während ich auf sein Bild schaute, war seine Wirkung von der seines Bildes doch nicht unterscheidbar – es sei denn, er hätte mich berührt oder auf eine andere, vehemente Art in der Betrachtung des Bildes unterbrochen.

Toren glaubt nicht an den Erfolg seiner hermetischen Portraits. Eigentlich befürchtet er ein Desaster. Denn der Betrachter muss die dargestellte Person umfassend und sehr genau kennen, wenn er sich ihre sinnliche Nähe durch die Bildstimmung suggerieren soll. Toren hat sich deshalb entschlossen, nur enge Freunde wie Horst oder Feldmann in diesen mystischen Bildern zu porträtieren. Im Übrigen wird er sich darauf beschränken, sie Freunden zu zeigen, die sich untereinander kennen.

Niemand kann die Nähe seiner selbst fühlen. Jeder ist unmittelbar er selbst. Niemand kann deshalb das Portrait seiner selbst betrachten, geschweige denn es malen. Doch keiner, der mit Torens Schaffen vertraut ist, soll ihm vorwerfen, dass einige Werke nicht wirklich Bilder, sondern bloßes Spiel mit Farben und Flächen seien. Damit sein atmosphärisches Malen stets gegenständlich wirkt, hat Toren in jedem dieser Art Bilder zumindest zwei seiner Freunde porträtiert. Wenn Feldmann sein Portrait betrachtet, fühlt er deshalb, wie Horst in seiner tänzelnden Heiterkeit ihn beobachtet. Und wenn Horst dasselbe Bild betrachtet, spürt er, wie sich Feldmann in seinem Rücken räuspert.

Es bestürzt Amikam, dass ein wahrhaftes Selbstportrait unmöglich ist. Die Schwierigkeit scheint unlösbar und er fürchtet, dass er die Kunst der Malerei aufgeben muss. Vorläufig wird er seinem Hang zur Resignation aber nicht nachgeben. Ich habe, so denkt er, Feldmann und Horst genau so in einem Bild erfasst, wie ich mit beiden befreundet bin. In der Stilisierung des einen finde ich stets Spuren des anderen und in der des anderen wiederum die des einen. Im Rhythmus ihrer Entsprechungen und Kontraste hat meine Freundschaft zu ihnen ihre Gestalt gefunden. Darin, nur darin bin ich anwesend. Doch kann ich mich nur mehrdeutig zum Ausdruck bringen. Ich betrachte ihr Bild und fühle ihre schwankenden Gestalten, fühle, wie ich mich einmal dem einen, einmal dem anderen zuwende, und bin in diesem mühelosen Wechselspiel ich selbst – leer, ganz äußerlich bewegt und ohne Sehnsucht nach endgültiger Wahrhaftigkeit. Vielleicht wird eines Tages ein Fremder diese vergeblichen Bilder anschauen, sich nach einer Weile zu mir umwenden und überrascht bemerken, dass sie alle ein spielerischer Stimmungswechsel auszeichnet. Es ist unwahrscheinlich. Aber die Möglichkeit ist notwendig. 


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