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Familientopologie
Standartfiguren im gemeinschaftlichen Leben

 

Einstieg

Da haben wir Sohn. Sohn ist ein kleiner Mensch, optisch alles dran, nur
eben kleiner. Diesen Zustand nennt man Kind. Sohn hat auch etwas
Bildung. Diesen Zustand nennt man in seinem Fall: katastrophal.
Sohn ist Kind. Sohn ist das Kind von. Von sind die Eltern, von ihrem
Kind dessen ältere Bezugspersonen, von dem Kind davon die älteren
Erzeugungsreferenten dieses kleinen Monsters, an denen optisch auch
noch alles dran ist, nur eben größer durch tätigen Gebrauch. Elternschaft
ist in unserem Fall ein Fall für zwei: der Unterscheidung halber getrennt
in ein linkes und ein rechtes Eltern. Beide sind verantwortlich zu machen
für Sohn, wobei linkes Eltern, das ist: Frau, noch etwas verantwortlicher
zu machen ist als rechtes Eltern, das ist: Mann, der ja immer so viel arbeiten
muss und selten da ist, wenn die Post kommt. Eltern haften an ihren
Kindern, denn Kinder kleben oft durch die Schokolade in ihren allgemeinen
Gesichtern. Sohn allerdings im Besonderen ist ein Milchgesicht.
Das hat damit zu tun, dass Milch sich wie ein roter Faden durch seine
postnatale Phase zog. Sohn ist lange Zeit so ein Säugedingens gewesen
und hatte sich, bis kurz vor seiner Verklappung in einer handelsüblichen
Kinderaufbewahrungsstätte, wo die Erziehrinnen nur Vornamen haben,
mit Vorliebe an den Drüsen von linkes Eltern, das ist: Frau in ihrer besonderen
Funktion als Mutter, festgebissen. Sohn lernt im nachnamenlosen
Kinderpanoptikum gerade einen Beruf zu haben zu sollen für: Omas.
Omas fragen immer, was man denn mal werden wolle. Oma ist linkes
Eltern von rechtes Eltern von Sohn, in unserer patri-anarchalen Kultur
ist Oma also als linkes Eltern nur bedeutsam in besonderer Funktion
als früheres Ehedingens von längst verstorbenem rechten Eltern von
rechtes Eltern von Sohn. Der Grund ihrer Omaschaft hatte vor zwei
Jahren Herz und ruht sich nun in 2 Metern Tiefe aus. Oma kneift gerne
ohne Grund und Vorwarnung in ursprünglich gesunde Kinderbäckchen
mit ihren todeskalten Fingern. Zu Omas kommt selten der Postbote
und wenn, dann nur ungern oder nicht so lange oder betrunken nach
verlorenen Wetten. Gottseidank wird heutzutage noch gewettet. Sohn
möchte von Beruf nicht Post zu Omas tragen, sondern Feuähwäh werden,
Sohn möchte auch Feuähwäh-Auutoooh werden, haben, besitzen,
und letztlich kaputt machen, kaputt machen, KAPUTTT MACHENNNN.

Doppelhaushälfte

Die durchschnittsdeutsche Familientopologie bedarf der Doppelhaushälfte
als Ort des Stattfindens. Familie findet ab der Hälfte des Lebens
von linkes und rechtes Eltern statt in der Hälfte eines Hauses, das eigentlich
zwei ist. Wie es sich darin an Geschossen von unten nach oben
anordnet, so bestehen auch Machtgefälle. Während Sohn noch ein
Säugedingens war, bestand seine Macht im Umformen der Nacht zum
Tag mittels auditiv wahrnehmbar gemachter Ausscheidungen. Daher
kommt dieser alte Kinderreim: Stuhl in der Nacht, hat Krach gemacht,
der keinem hier bekannt vorkommen dürfte, denn ich habe ihn mir eben
erst ausgedacht.
Das menschliche Leben hingegen von linkes und rechtes Eltern in
ihrem Haus, das als Doppelhaushälfte Teil eines Hauses ist, das eigentlich
zwei ist, beginnt aber erst, wenn Sohn aus dem Haus ist, aus der
Hälfte des Hauses raus ist. Dann sind linkes und rechtes Eltern schon
sehr alt und haben Kreislauf. Damit kommt man natürlich nicht mehr
vorwärts. Deswegen beginnt und endet gleichzeitig das menschliche
Leben von linkes und rechtes Eltern im Moment des auf lange Sichtangestrebten Auszugs von Sohn. Man stirbt dann ab und wird wieder
Kreisläufen zugeführt, bis Wasser-Moleküle, sagen wir von rechtes Eltern,
irgendwann als Analog-Käse wieder auf den Tisch von Familie X
kommen und weiteren Kreisläufen zugeführt werden. Moleküle von
linkes Eltern enden möglicherweise als grinsende Bärchenwurst ihrerseits
wiederum in Kreisläufen, die meist beim Mund anfangen und am
anderen Ende von Mensch aufhören. So geht es seit Jahrtausenden der
vereinten Menschenschaft: Wenn wir Familie waren, sind wir irgendwann
alle Bärchenwurst. Das nennt man heute Kreislauf.

Mutter

Das ist vielbesagtes linkes Eltern. Dieses Eltern nennt man auch »sie«
und es arbeitet. Es arbeitet in irgendetwas mit Medien und Sprache,
wegen der Gehirnhälfte.
Seit Sohn gefühltermaßen aufrecht und vom Umfang her wie eine Pilgergruppe
mit mittelgroßem Marschgepäck ihren Uterus verließ, wohlgemerkt
nicht ohne anzuecken, worüber man später Tante noch sagen
hören werde: »Da hat es schon angefangen«, hat rechtes Eltern, das ist:
Mann in besonderer Funktion als ehe-interner Lover, Hemmung davor,
seinen Dingens weiterhin dort rein zu tun, wo mal was raus kam, nachdem
er mal sein Dingens rein getan hatte. »Paradox«, hörte Mutter sich
denken, als sie neulich unbeobachtet und mit extra großer Sonnenbrille
im Beate-Uhse-Shop einen Ausweichliebhaber kaufte, mit 9 Volt und nach
ihrer Zählung genau 72 Noppen, und jede einzelne davon war ihr verdammtes
fucking Geld wert, ohhmann. Am selben Tag kam Mann abends
vom Tennis und sagte, seine Batterien seien völlig leer und ob man nicht
am Wochenende ins Regie-Theater gehen solle, laut Feuilleton soll dort
ein Gouda vergewaltigt werden. Oma versorge dann sicherlich Sohn.
Mutter hat ein Holzbein, das ist: ihr rechtes Eltern in seiner zu Lebzeiten
von ihm noch aktiv wahrgenommenen Funktion als ihr Vater:
Deswegen zieht sie gerne Schubladen für alles, was Mann ist, eine erste
Schublade: dieses Mann ist so wie Vater, und eine zweite Schublade:dieses Mann wird so wie Vater. Manchmal die dritte: Dieses Mann bleibt
so wie Vater. So hinkt Mutter geistig durchs Leben.
Um sich für diesen Hürdenhinklauf namens Leben hübsch zu fühlen,
muss Mutter sich in regelmäßigen Abständen Farbe ins Gesicht schmieren.
Ja, na klar folgt das einer Art Prinzip. Wir ziehen als Lehre daraus,
dass Gestaltungsprinzipien nicht per se schöner machen.

Vater

Rechtes Eltern von Sohn in seiner Funktion als Mann hat auch eine Gehirnhälfte
und einen damit kompatiblen Beruf, wo er aus der Schreibtischzeichnung
von Metall und Schweröl tote Landschaften mit toten Tieren in Drittweltländern entstehen lässt. Diesen Zustand nennt man heute: Leistungsträger. Diesen Zustand nannte man früher, als man es noch genauer nahm: Kapitalistenarschloch. Vater guckt, in seiner Funktion
als Urmensch, also in Funktion als unter Artenschutz gestelltes lebendes
Fossil in einer Kulturlandschaft des Mitleids und der Betroffenheit,
gerne Fußball und bringt in der Pause zur Hälfte des Spiels seinen
überschüssigen Urin weg. Niedliche Krone der Schöpfung.
Achso: Sohn hat in Vorbereitung seiner Rolle als Erwachsener auch
ein spezifisches Talentausprägungsdispositionsdingens von seiner Gehirnhälfte
bekommen, von welcher Hälfte sei hier aber nicht verraten,
denn wir wollen ihm oder ihr ja nicht so früh eine Rolle aufzwängen,
zwinkerzwinker.

Oma

Oma ist ein altes Mensch. An Oma ist optisch auch alles dran, nur seltener
im Gebrauch und hängt daher eine Hausnummer tiefer, wo es
weniger offensichtlich zu sehen ist und daher weniger offensichtlich
zum Gebrauch einzuladen scheint, zu dem es realiter schon länger
nicht einlädt. Das hat auch mit der für Omas konstitutiven Dauer derExposition ihrer Materie gegenüber der Schwerkraft zu tun. Unter dem
Ansturm der realen Kräfte hat Oma damit Birnenform bekommen, und
eine Pfirsichhaut, also falls Sie sich die Haut eines siebzigjährigen Pfirsichs
imaginieren wollen.

Familienauto

Familienauto ist auch ohne besondere Erwähnung sofort als Kombi zu erahnen
und als solcher in einer Nicht-Farbe lackiert, vielleicht Silber oder
so ein Dreck. Familienauto offenbart den praktizierten Schwachsinn.
Man sagt, rechtes Eltern, das ist Mann, braucht Auto als Schwanzersatz.
Dabei hat er offensichtlich an der vakanten Ersatzstelle dasjenige noch,
was da ersetzt werden sollte, und seine Sekretärin würde das auch jederzeit
bestätigen. Nun hat er den Ersatz nicht nötig und obendrauf trotzdem
ein Auto. Das ist eine ungerechte und Mann klar übervorteilende
Distribution von Phallussymbolen, über die an gegebener Stelle noch
zu reden sein wird.
Linkes Eltern, das ist: Mutti in ihrer beifahrenden Begleitfunktion
als hysterisches Korrektiv, sagt als Ausgleich für diesen praktizierten
Schwachsinn daher oft, rechtes Eltern fährt wie ein Idiot. Wenigstens hat
Idiot ein eigenes Auto, ätsch. Den Wert dieser Tatsache verkennt linkes
Eltern wohl deshalb, weil es sich immer die Augen zuhält, wenn Idiot
fährt. Passanten regnen derweil nett an den Seiten herab und verleihen
diesem automobilen Blindflug von Familie regelmäßig den Charme
einer apokalyptischen Idylle. Gerne fährt man, wenn es die Zeit zulässt,
mit Familienauto durch Landschaft und guckt dabei aus dem Fenster
und sagt: Oh, guck mal, Landschaft. Dabei nicken dann alle Angesprochenen
konsequenzlos.

Familientiere

Absatz eins: Katze.
Katze ist vorhanden. Über Katze ist wenig zu sagen. Katze spricht nicht
viel. Katze schnappatmet sich die restlichen, mit Übergewicht und verblödender
Trieblangeweile rumgebrachten Leben durch die Kratzbaumöde
der standarddeutschen Durchschnittsdoppelhaushälfte. Zu diesem
Zweck hat Katze sich ein dickes Fell zugelegt. Die Katzenklappe wurde
vor einem Monat durch eine Erweiterungssägung an die neuen Realitäten
von Katzes Umfang und Mächtigkeit angepasst. Könnte man Katze
sprechen hören, würde man sie schnell eine zynische Mistkrücke nennen,
da sie alles mit Abscheu kommentierte, aber trotzdem geschehen
ließe. Sie ist der Prototyp des Melancholikers und daher bald tot. Katze ist
dick, handlungsgehemmt, triebgesteuert und ihre Erwartungen an das
Leben sind bereits arg auf Kante genäht. Morgen wird ihr durch Sohn und
den Staubsauger »rein zufällig« und mit interesselosem Wohlgefallen
ihr sechstes Leben genommen. Dereinst wird Katze in einem Bilderrahmen
mit Trauerflor auf dem Kaminsims als Märtyrer verehrt werden. Ihr
Körbchen wird so drapiert bleiben, wie es bei ihrem Tod war, nur das Katzenstreu für nur 4,99 pro 10-Kilo-Sack wird noch einige Male erneuert
werden, da der Sack nun einmal gekauft ist, sich aber anderweitig keine
Verwendung findet. Virtuell gesehen verursacht Katze damit auch im
toten Zustand noch aktiv Kosten, was der historischen Bewertung ihrer
Märtyrerschaft eine gewisse Ambivalenz bescheren wird. Das vorsubjektivistische Element in der Bewertung von Haustiercharakteren lässt
Katze aber auf lange Sicht ersetzbar werden.
Absatz zwei: Hund.
Hund ist der beste Freund des Menschen. Bevor wir aus der animalen
Wirklichkeit im Höllenschlund Doppelhaushälfte schlussfolgern, dass es
sich deshalb bei Sohn nicht um einen Menschen handeln kann, müssen
wir versuchen, seinem Verhalten gegenüber Hund etwas abzugewinnen,
wenngleich Hund selber das in diesem Leben nicht mehr kann. »Der willdoch nur spielen«, sagt Mutter zu Hund über Sohn. Hund versteht zwar
Deutsch, hat aber trotzdem Angst, denn das Gesicht von Sohn spricht
eine eindeutig andere, jedoch Hund nicht weniger verständliche Sprache:
die Triebsprache. Gottseidank gibt es einen eigenen Tierhimmel,
dachte Hund, kurz bevor er unter Sohn erstickte, wobei Sohn einfach
nur dachte: KAAAPUTTT MACHENNNN. Vor dem Zustand von Kaputt
hatte Hund vorrangig Dinge zu fressen, die bei Familie vom Tisch fielen,
Schrägstrich: übrig blieben. Was bei Doppelhaushälftenfamilie auf den
Tisch kommt, ist schon gar nicht mal so gut. Was davon übrig bleibt noch
unguter. Das fraß dann Hund, nachdem es lustlos vom Tisch gefallen
wurde und schön von dem Staub unter dem Tisch quasi-paniert. Lange
Zeit davor war Hund vielleicht irgendwann mit einem Augenzwinkern
im Knopfloch und einem Schlitz im Kleid mal der beste Freund des Menschen,
ja sicher, ja klar, immer feste dran glauben.
Hund und Katze begegneten sich bald darauf wider Erwarten in
der Tierhölle. Dort war alles wie immer: graue Doppelhaushälften,
graue Familien-
Kombis davor stehend, graue Mutter, grauer Vater,
das Schappie
und das Wisskass aus grauem Instant-Geflügel-Fleisch-
Imitat-Abklatsch-Plagiat, nur Sohn war in dieser Tierhölle zehnmal so
groß, zehnmal so schwer, zehnmal so perfide und dumm und grausam,
zehnmal so ausdauernd,
und auch noch zehnmal vorhanden. Als sich die
riesigen
Schatten
vor ihnen auftürmten, umarmten Hund und Katze
sich zitternd
vor Angst.
Familientopologie Fazit:
Wenn dem so ist, dann aber Gute Nacht, liebes Land.

Risse 25


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