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Gegenwert von Raider und Twix

24.03.2015 Ostsee-Zeitung 

Kai Pohl und Clemens Schittko lasen im Literaturhaus Rostock.

Rostock – Lyriker sind auserkoren, das Verhältnis von Autor und Text, von Text und Welt zu erkunden. Eine solche Erkundung fand Sonnabend am internationalen Tag der Poesie im Literaturhaus Rostock statt. Der Greifswalder Freiraum Verlag veröffentlichte ein Buch mit dem Titel "My Degeneration. The very best of Who is Who" – eine Lyrikanthologie. Zwei der Autoren stellten in Rostock ihre Texte von Kai Pohl und Clemens Schittko.

Der Titel bezieht sich auf eine Platte von The Who und popkulturell ist auch die Literatur, die die Autoren produzieren: Sie verwenden vorgefertigte und aufgefundene Sprache, die sie aus dem Kontext lösen, rhythmisieren und in endlosen Reihen aneinanderhängen. Bevorzugt aus dem Internet. Die Cut-Up-Technik ist zwar nicht neu, aber im Zeitalter des "Copy ans Paste" von Inhalten mehr als zeitgemäß.

Wie hört sich so was an? "Gegenwart heißt jetzt Gegenwert, Werbung heißt jetzt Marketing, Schlussverkauf nennt man Sale, Bundestrojaner heißt Remote Forensic Software." Wirtschaft, Werbung und Politik sind bevorzugte Bereiche, aus denen Begriffe entnommen und ihr Bedeutungswandel benannt werden. Reizvoll wird dies erst durch die endlose Wiederholung desselben Musters. "Wir bewegen uns im Graubereich zwischen Spiel und Ernst", sagt Clemens Schittko (35). Wie sehr sich beides vermischt, wird deutlich, wenn Kai Pohl (50) erwähnt, dass der Schokoriegel-Slogan "Raider heißt jetzt Twix" die Ursprungsidee gab. Hinter dem Sprachspiel steckt Verkaufsstrategie: "Letztlich wollen sie mit Schokoriegeln Geld verdienen." Wie politisch oder lyrisch Texte aufgenommen werden, liegt beim Leser.

Doch auch im Privaten funktioniert das Prinzip. Schittkos Gedicht über Äußerungen seiner Oma zur "vermeintlichen Arbeitslosigkeit" des schreibenden Enkels besteht aus ebenso typischen wie austauschbaren Äußerungen von "So etwas hätte es bei uns früher nicht gegeben!" zu "Was soll bloß aus dir werden?". Jeder Satz für sich wirkt ebenso gestanzt wie bedeutungsarm. In der Reihung offenbart sich die Strategie eines wortreichen Nicht-Denkens, eines Verschanzen hinter einer Mauer aus vorgefertigten Äußerungen, die die Argumente sicher transportieren. Am Ende ist das gar nicht mehr lustig, sondern verstörend.

M. Schümann

 

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