27.03.2000 Ostsee-Zeitung von F. Schlösser
Leipzig (OZ) Mit rund 60 000 Besuchern hat die Leipziger Buchmesse das beste Ergebnis seit 1991 erreicht und das Ergebnis des Vorjahres um 20 Prozent übertroffen. Den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung erhielt gestern vor Abschluss der Messe die polnische Autorin Hanna Krall – ein Hinweis darauf, dass Leipzig trotz des Verzichts auf „Länderschwerpunkte“ seinen Blick auch weiter nach Osteuropa richten wird. Die neue Leitlinie heißt „Europa in der Zeitenwende“, und der erste Themenkreis behandelte die Wahrnehmung des seit zehn Jahren wiedervereinigten Deutschland durch die europäischen Nachbarn.
Als weiterer Schwerpunkt präsentierte sich die boomende Hörbuch-Branche den Besuchern mit einer inzwischen unüberschaubaren Fülle von Produktionen. Verlage aus Mecklenburg-Vorpommern waren hier allerdings nicht vertreten – einzig der Scheunen-Verlag aus Kückenshagen konnte auf bereits erschienene und geplante Tonträger verweisen. Für dieses Jahr sind „Texte gegen Gewalt“ von Tucholsky und Wolfgang Borchert auf einer CD geplant. Neuerscheinungen des Verlags in Buchform waren „Regen über Tschernobyl“ – ein Krimi vor dem Hintergrund der Atomkatastrophe – und „Der bunte Fluß“ von Marga Koch. Die 80-jährige Autorin las gestern selbst aus ihrem Buch und erwies sich als große Erzählerin.
Lyrik und Prosa aus Mecklenburg-Vorpommern bekam das Messepublikum bereits am Freitag zu hören. Der Verein „Netzwerk M-V“ präsentierte in Leipzig mit Irena Stojanova, Uwe Saeger, Jürgen Landt und Thomas Kunst Autoren der Literaturzeitschrift „Risse“, die „Extrakte der Wortkargheit“ zu Gehör brachten. Der Rostocker WeymannBauerVerlag war mit seinem Autor Harri Engelmann vertreten, der den Zuhörern gestern mit der heiteren Titelepisode seines Buches „Japanischer Garten“ Lachtränen in die Augen trieb.
Unter den Neuerscheinungen des Neuen Hochschulschriftenverlages aus Rostock fand der Band „Ein Rostocker Hochseefischer erzählt“ besondere Aufmerksamkeit. Autor Gerhard Kotzian war selbst von 1953 bis 1990 mit der Fischereiflotte der DDR zur See gefahren und berichtet von seinen Erlebnissen. Am gleichen Stand waren die „Begegnungen“ von Eva Donath zu entdecken. Das im Altstadt-Verlag Rostock erschienene Büchlein enthält zwei Erzählungen: ein Frauenschicksal aus den Jahren des westdeutschen Wirtschaftswunders und die Geschichte eines homosexuellen Juden zur Zeit des Nationalsozialismus. Der Schweriner Demmler-Verlag präsentierte zur Buchmesse einen aufwendigen Kunstband über den Mecklenburger Maler Carl Hinrichs. Der kleine Axel-Dietrich-Verlag aus Peenemünde zeigte seine bekannten Beiträge zur Regionalgeschichte. Eine literaturhistorische Entdeckung war am Hinstorff-Stand zu machen: Der Verlag hatte den Text ausgegraben, die der „Bernsteinhexe“ von Wilhelm Meinhold vorangegangen war. Die kurze, schlichte Novelle „Die Hexe von Coserow“ enthält die Fabel des späteren Erfolgsromanes Meinholds, der sich auf angeblich aufgefundene Dokumente stützte und 1843 ein großer Erfolg in Deutschland war. Außerdem legte Hinstorff mit dem Lesebuch „Schmökern, Schmüüstern, Schnacken“ einen weiteren Beitrag zur Pflege der Plattdeutschen Sprache vor.
Zum ersten Mal präsentierte der inzwischen fünfjährige „Gänsebrunnen-Verlag“ aus Bützow sein Programm auf der Buchmesse. Aus den vielen Titeln, die sich der Stadt Bützow und ihrer Umgebung widmen, hebt sich ein unscheinbares Büchlein heraus: „Viva la Revolution" ist ein erstaunlich frisches und freches Debüt der 35-jährigen Autorin Dagmar Krämer, die sich aus der Ossi-Punker-Perspektive mit der deutschen Einheit auseinandersetzt. Der Verlag „Stock & Stein“ aus Schwerin stellte seine unterhaltsame Dokumentensammlung „Wolfshagen intim“ vor, die vom Alltag der einfachen Menschen in der Prignitz aus den Jahren 1652 - 1820 berichtet.
Alles in allem waren in Leipzig bei den Verlagen des Ostsee-Bundeslandes neben bewährten Regionalia auch belletristische Überraschungen zu registrieren, die durchaus bundesweites Echo finden könnten.
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